Dicht unter der lieblichen Marienstatue konnte man täglich diesen eigenartigen Menschen sehen, der sich Robert Rainer nannte, und, wie man so sagt, ein Einzelgänger, eine Art Sonderling war. Er war durchaus nicht immer schon so gewesen. Ein gar fröhlicher Kamerad im Kreise der andern, für jeden Scherz zu haben, voll sprühendem Lebenswillens und immer bester Laune, so war er damals, im Jahre 1939, als das große Ringen begonnen, ins Feld gezogen. Als gebrochener war er wiedergekehrt. Eine Kugel war in seinen Kopf gedrungen, die man – weil zu riskant – nicht herausoperieren konnte. Seit dieser Verwundung war Robert Rainer traurig, in sich verschlossen und gedrückt. Es war kein Wunder nach all dem, was einer da draußen mitgemacht haben mochte und die behindernde Kugel im Kopfe trug ein übriges dazu bei, ihn trübe zu stimmen. Nun hier in der Kirche fühlte er sich wohl. Er hatte immer schon, von Kindheit auf, eine zarte, innige Liebe zur allerseligsten Jungfrau im Herzen getragen, und jetzt, da er sich krank und elend fühlte, flüchtete er sich mehr noch als in gesunden Tagen unter die Fittiche der himmlischen Frau. Wie verinnerlichend und beseligend war doch dieser Aufenthalt in der Kirche! Hier war Robert Rainer glücklich, hier vergaß er auf die Kugel in seinem Gehirn, hier vergaß er, dass er durch sie so weltfremd und einsam geworden war. Heiße Stoßgebete und fromme Liebesseufzer stiegen zur Madonna empor. Er dachte nicht daran, dass er im Grunde ein Invalide geworden war; denn seit seiner Verwundung strengte ihn jede Arbeit so merkwürdig an, er ermüdete so rasch. Er hatte seinen früheren Beruf als Diener in einem großen Warenhaus auch aufgeben wollen, aber weil er immer so fleißig und tüchtig gewesen, behielt man ihn auch jetzt, obwohl er kaum die Hälfte von dem zu leisten imstande war, was er früher geschafft hatte. Als er wieder einmal wunschlos zu Füßen der heiligen Jungfrau saß, geschah etwas schreckliches: Aus völlig unbekannter Ursache neigte sich die Statue plötzlich und stürzte mit aller Wucht auf den Beter, der ihr so nahe weilte. Himmel, was war das für ein Schmerz im Kopfe! Rainer fiel in tiefe Bewusstlosigkeit. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem Krankenhaus und ein freundlicher Arzt redete ihm zu, sich ganz ruhig zu verhalten, er werde bald wieder ganz gesund sein. Es war derselbe Arzt, der ihn schon vor Jahren untersucht und erklärt hatte, dass er die Kugel nicht entfernen könne. Tage vergingen und Robert Rainer fühlte sich mit jedem Tag besser. Ganz eigenartig war das. Er fühlte sich wirklich mit jedem Tag besser. Ganz eigenartig war das. Er fühlte sich immer mehr so, wie er sich vor seiner Verwundung gefühlt hatte. Die Schwere im Kopfe war gewichen, die melancholischen Gefühle und Gedanken, die ihn früher bewegt hatten, hatten seiner alten Lebensfreude und seinem frohen, unbeschwerten Sinn von einst Platz gemacht. Endlich ging es ihm so prächtig, wie er nie gedacht hatte, dass es ihm gesundheitlich jemals wieder hätte gehen können. Da berichtete ihm der Doktor, dass er, Rainer, mit einer argen Platzwunde am Kopf ins Spital eingeliefert worden wäre. Eine rasch gemachte Röntgenaufnahme habe gezeigt, dass die Kugel, die er vom Kriege abbekommen, durch den Aufprall der Statue aus ihrer früheren Lage, aus welcher sie wegen hundertprozentiger Lebensgefahr für den Patienten hatte nicht entfernt werden können, herausgedrängt worden und in mehr äußere Gehirnpartien gelangt war, wo es leicht erschien, sie herauszunehmen. Dies sei denn auch bereits geschehen. Die in der Kirche erlittene Verletzung wäre sein größtes Glück gewesen; denn ohne den Aufprall des Standbildes wäre er wohl sein Lebtag die so sehr drückende und seinen ganzen Kreislauf behindernde Kugel nicht mehr losgeworden. Glücklich kehrte er also der völlig Geheilte wieder in die Gemeinschaft der anderen zurück, so gesund wie je zuvor und im Vollbesitz seiner Arbeitsfähigkeit! Die himmlische Mutter weiß eben immer zu helfen. Und wenn es zuweilen auch anfangs so aussieht, als wäre es jetzt noch schlimmer gekommen, gerade da hilft sie oft am meisten! Q: Die schönsten Mariengeschichten Nr. 10 v. H. H. Pfr. Harrer (mit seiner frdl. Erlaubnis) |