Der Rosenkranz einer Mutter


Eines Tages findet ein Student, der, als er klein war, zwar gebetet hatte aber dann seinen Kinderglauben verlor, einen Rosenkranz am Straßenrand. Sein erster Gedanke war, ihn liegen zu lassen, aber da erwachte seine Liebe zur Muttergottes, er hob ihn auf, reinigte ihn und sagte zu sich: „Wenn ich ihn der Person, die ihn verloren hat nicht zurückgeben kann,
dann gebe ich ihn der Hl. Jungfrau, denn alle Rosenkränze sind dazu bestimmt, sie zu ehren;
ich werde ihn auf den Marienaltar der ersten Kirche, an der ich vorbeikomme, hinlegen.“

Als er zu einer Kirche kommt, tritt er ein und geht zum Muttergottesaltar. Maria, die ihr Kind schon erwartet, gibt ihm die Eingebung: „Bete den Rosenkranz, bevor du ihn auf den Altar legst.“
Der gerührte Student kniet sich hin und betet wie früher andächtig den erbetenen Rosenkranz, aber eine Flut von Gedanken stürmt auf ihn ein; es scheint ihm, als würde eine Stimme ganz klar und deutlich zu seinem Herzen sprechen:
„Werde Priester, mein Kind. Du wurdest dem Aufruf meines Sohnes untreu, doch das ist deine einzige Berufung. Komm zu deiner früheren Liebe zurück und folge deiner Berufung.“
Diese Worte waren wie ein Lichtstrahl, der den jungen Mann bis in die tiefste Seele drang.
Nachdem er darüber nachdachte und noch mehr betete, rief er aus:
„Ja, meine Mutter, ich bin einverstanden, ich kehre zu dir zurück. Mit deiner Hilfe werde ich Priester Jesus Christi sein.“

Er hielt sein Versprechen und wurde Priester, ein sehr guter Priester. Außer seinen anderen Gebeten, liebte er das tägliche Rosenkranzgebet, das er auf dem alten, auf der Straße gefundenen Rosenkranz betete, der ihm die Gnade seiner Berufung zum Priester schenkte.      

Es war Gottes Wille, dass einige Jahre später dieser junge Priester zum Seelsorger eines Krankenhauses bestellt wurde.
Eines Tages brachte man einen armen Kranken zu ihm, der, als er hereinkam, sofort ausrief:
„Sprechen Sie mit mir nicht über Religion, ich bin ein Ungläubiger und glaube an nichts.“
Dennoch besuchte ihn der Priester mit Wohlwollen, wurde von ihm aber geringschätzig behandelt.
– „Nun denn, mein Freund, ich werde für Sie einen Rosenkranz beten“, spricht ihn der Priester an.
– „Sprechen Sie nicht vom Rosenkranz“, antwortet der Kranke.
– „Aber dieses Gebet kann nur gut sein für Sie.“
– „Im Gegenteil, Hochwürden, der Rosenkranz ist der Grund meines Unglücks.“
– „Wieso, mein Freund? Was wollen Sie damit sagen?“

– „Weil Sie es wünschen, werde ich es Ihnen sagen. Als ich ein Kind war, hat meine Mutter täglich mit mir den Rosenkranz gebetet. Erwachsen geworden, musste ich in die Stadt, um einen Beruf zu erlernen. Dort haben mich schlechte Freunde zum Bösen verführt, zur Missachtung von Gottes Gesetz. Ich befand mich in dieser schlimmen Verfassung, als ich nach Hause gerufen wurde. Meine Mutter lag im Sterben. Um ihr kein Leid zu verursachen, verstellte ich mich und versprach ihr, dass ich, soweit es mir möglich sein wird, jeden Tag ein Stückchen vom Rosenkranz beten werde. Meine arme Mutter gab mir daraufhin ihren Rosenkranz.
Nach der Beerdigung kehrte ich in meine Werkstatt zurück. Aber auf dem Weg dorthin, gab der Dämon mir den Gedanken ein: ‚Befreie dich von diesem Rosenkranz und wirf ihn weg.’ Ich tat es und warf ihn mit Verachtung auf die Straße. Seither bin ich immer unglücklich und glaube, dass ich verflucht bin.

Der Priester, der sehr gerührt war, fragte: „In welchem Jahr und welchem Monat ist das geschehen?“
Auf die genaue Antwort des Kranken, zog der Priester den Rosenkranz aus seiner Tasche und sagte:
„Würden Sie diesen Rosenkranz wieder erkennen, mein Freund?“
Da konnte der Kranke nur einen Schrei ausstoßen: „Das ist der Rosenkranz meiner Mutter!“

Er ergriff ihn liebevoll und weinend küsste er ihn lange.
– „Morgen werde ich wiederkommen, um Ihnen die Sakramente zu spenden. Ich lasse Ihnen solange den Rosenkranz, damit sie Ihre Schuld wiedergutmachen können. Später werde ich ihn mir wieder holen.“

– „Nun“, setzte der Geistliche fort, „dieser Rosenkranz, den Sie den Grund Ihres Unglückes nannten, war für mich der Grund meines Glückes, ich verdanke ihm, Priester zu sein. Jetzt, mein Freund, wird er die Ursache Ihres Glückes werden.“

– „Ja, Hochwürden. Ich möchte beichten.“
Einige Tage danach starb der Kranke, den Rosenkranz seiner Mutter küssend, glücklich und geheiligt … Der Priester aber nahm seinen armen, kleinen Rosenkranz wieder zurück und trägt dieses teure Andenken immer bei sich.      
Auszug aus: Priestertum und Erneuerung
Erschienen in der „Marianischen Sammlung“ 1977 von Fr. Albert Pfleger, Marist