Oelbergandacht (1) 1949

Die Heilige Stunde
Vorbereitungsgebet:
O liebevollster Erlöser!
Ich komme zu Dir, um diese Heilige Stunde, die Du einst von Deiner treuen Braut, der hl. Margareta Maria, erbeten hast,
in Vereinigung mit Deinem Todesangst leidenden Herzen zuzubringen. Verleihe mir eine innige Teilnahme an Deinen unermesslichen Schmerzen
und an dem tiefen Mitleid, das die Seele Deiner Heiligsten Mutter in jener Nacht Deiner bitteren Todesangst erfüllte.
Lass mich während dieser Stunde mit Dir wachen und beten, um den Zorn Deines himmlischen Vaters zu besänftigen,
um Barmherzigkeit für die Sünder zu erlangen und um Dich zu trösten für den Schmerz, den Du über die Teilnahmslosigkeit Deiner Apostel empfunden hast.
In der Erkenntnis meines Unvermögens opfere ich Dir auf die Gefühle Deiner heiligen Mutter, der heiligen Margareta Maria und aller jener frommen Seelen,
die Dir jemals den größten Trost bereitet haben und noch bereiten in diesem Geheimnis der Schmerzen und der Liebe. Amen.

Erste Andacht der Heiligen Stunde

1. Jesu Traurigkeit bis zum Tod

Es ist einer der ernstesten und heiligsten Augenblicke in der Geschichte der Menschheit.
Du hast, o Jesus, im Saale zu Jerusalem Deinen Aposteln die letzten Lehren und Unterweisungen gegeben
und Dein göttliches Herz in dem erhabensten Gebet ausgegossen, das jemals von Menschenlippen geflossen ist.
Nun begibst Du Dich mit ihnen an den Ölberg. Hier angekommen lässt Du acht Deiner Jünger am Eingange des Gartens Gethsemani zurück.
Nur Petrus, Jakobus und Johannes nimmst Du mit Dir in den dunklen Teil des Gartens unter die Olivenbäume.
Eine plötzliche schmerzliche Erregung ergreift jetzt die Seele, o göttlicher Heiland. Dein Angesicht verändert sich,
Angst und Niedergeschlagenheit überwältigen Dich. „Du fängst an zu trauern.“
Welchen Abgrund von Seelenschmerz offenbaren die Worte, die Du an Deine Apostel richtest: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.“
Doch wie großmütig sehe ich Dich, o Jesus, den Leidenskampf beginnen!
Obwohl Du weißt, dass das Schaudern, das Dich befallen hat, nur der Vorbote der eigentlichen Todesangst ist, vergisst Du Dich selbst,
um an Deine Freunde zu denken. Sie sollen keine unmittelbaren Zeugen Deines Seelenschmerzes sein.
Aus zarter Rücksicht auf Deine Apostel willst Du allein „die Kelter treten“.
„Bleibet hier und wachet mit mir“, sprichst Du zu ihnen und näherst Dich der Grotte, dem Schauplatz Deiner furchtbaren Todesangst.
Jetzt bist Du ganz allein, o göttlicher Heiland!
Der schwere Augenblick ist gekommen, wo die Todesnot mit all ihren Schrecken über Dich hereinbricht.
Überwältigt von der Größe des Schmerzes, der Dein Inneres erschüttert, fällst Du auf deine Knie, das Antlitz in den Staub gesenkt,
als Opferlamm für unsere Sünden unter den furchtbaren Streichen der göttlichen Gerechtigkeit zuckend.
Du seufzest und stöhnst, aus Deinen Augen brechen Tränen, und blutiger Schweiß rinnt in Tropfen bis zur Erde nieder.
O mein guter Jesus, so muß ich Dich finden? Mit Blut und Staub bedeckt,
wie der Ärmste unter den Menschenkindern am Boden sich windend, weinend und jammernd in Todesnot?
Könnte ich da gleichgültig bleiben? Ach nein, o göttlicher Heiland, auch meine Seele ist erschüttert, ich bete an das Geheimnis Deiner Liebe.
O erbarmungsvoller Erlöser, durch die furchtbare Qual, die Du in Deiner Todesangst erduldet, durch den kostbaren Blutschweiß,
den Du für mich vergießen wolltest, flehe ich zu Dir, sei mir gnädig, wenn ich einst vor Deinem Richterstuhl erscheinen muß, um das Urteil zu vernehmen,
das mich ewig glücklich oder unglücklich machen wird.
Rette mich in dieser entscheidenden Stunde durch die Verdienste Deines bitteren Leidens uns sei mir nicht Richter, sondern Seligmacher.
V. Herz Jesu, dass Du die Todesangst gelitten
A. Erbarme Dich der Sterbenden.
V. Schone, o Herr, schone Deines Volkes,
A. Und zürne uns nicht in Ewigkeit.


2. Jesu trostlose Verlassenheit

Nun erhebst Du Dich, O Jesus, mein göttlicher Erlöser, um Trost zu suchen bei Deinen geliebten Jüngern.
Aber wie hat die Seelenangst und Not Dich angegriffen und erschüttert!
„Deine wankenden Knie trugen Dich kaum“, sagt eine gottbegnadete Seherin.
„Dein Antlitz war entstellt, Deine Lippen bleich, an allen Gliedern zitternd, in Blutschweiß gebadet schlepptest Du Dich zu den drei Aposteln.“
Doch ach, sie schlafen, von Müdigkeit überwältigt!… Unsäglicher Schmerz durchbohrt bei diesem Anblick Dein Herz.
Tief empfindest Du die trostlose Verlassenheit, die große Teilnahmslosigkeit Deiner treuesten Freunde, zu einer solchen Stunde..
an einem solchen Orte…. unter solch qualvollen Umständen… Dein liebendes Herz droht zu brechen vor Leid;
denn gleichzeitig schaut Dein Auge allen Kaltsinn und alle Lieblosigkeit Deiner Freunde, Deiner Auserwählten,
die sich an ihrem Liebesposten dem Schlafe der Lauheit und Trägheit überlassen. Sahst Du unter ihnen vielleicht auch mich?..

O mein Jesus könnte ich nur in etwa die Größe der Qual Deines göttlichen Herzens in diesem schrecklichen Augenblick ermessen!
Könnte ich Dich trösten, Dir Sühne und Ersatz leisten für die unbegreifliche Teilnahmslosigkeit Deiner Apostel, Deiner bevorzugten Freunde –
aber auch für die meinige. Ich erkenne und bekenne vor Dir meine Schuld, meine große Schuld und flehe um Gnade und Erbarmen.
Erweiche mein hartes Herz und erfülle es mit einem Strahl Deiner göttlichen Liebe. Verleihe mir die Gnade,
immer tiefer einzudringen in das Liebesgeheimnis Deiner Todesangst und Dir von nun an in Deiner so schmerzlichen Verlassenheit treue Gesellschaft zuleisten.
Da stehst Du nun, o göttlicher Dulder, schmerzerfüllt von Deinen schlaftrunkenen Aposteln.
Doch nur der sanfte Vorwurf kommt über Deinen Lippen: „Konntet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?
Judas, der Verräter, wacht noch, um mich meinen Feinden zu überliefern; meine Gegner wachen,
um Marter über Marter auf mich zu häufen und ihr meine Jünger, meine heißgeliebten Freunde, die ihr mich noch liebt,
ihr könnt mich allein lassen in meiner Todesnot? Wollt ihr nicht an mich denken, so denkt wenigstens an euch selbst;
dann sehet, die Stunde der Gefahr ist nahe! „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet!“ Denkt an eure Schwäche!
„Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach.“ O Jesus, wie groß ist Deine Liebe!
Selbst in Deiner bitteren Todespein bist Du voll Sorge für Deine Apostel und warnst sie vor der Gefahr, die ihnen bevorsteht.
O hätten sie auf Deine warnende Stimme gehört! … Durch Wachsamkeit und Gebet in Gemeinschaft mit Dir, ihrem göttlichen Meister,
hätten sie Gnade und Kraft erlangt, bei Die auszuharren in Deinem bitteren Leiden.
Aber in ihrer Schlaftrunkenheit begreifen sie nicht die Wirklichkeit des furchtbaren Geschehens.
Sie glauben zu träumen, als sie Dich blutüberronnen vor sich sehen, stammeln einige ungereimte Worte und verfallen wiederum in Schlaf!…
Todestraurig ob Deiner Verlassenheit wankst Du wieder zurück, um einsam weiterzuringen und zu beten.
Auch mein Herz, o Jesus, ist mit tiefer Traurigkeit erfüllt, da ich Dich in Deinem leidvollen Zustand so einsam und verlassen sehe.
Wie sehr geht mir Deine Seelenpein zu Herzen, deren Größe ich nicht zu ahnen vermag.
Sagtest Du doch selbst zur heiligen Margareta Maria: „Kein Geschöpf wird je die Größe der Qual begreifen können, die ich damals erduldet..
Hier habe ich innerlich mehr gelitten, als während meines ganzen übrigen Leidens, da ich mich verlassen sah von Himmel und Erde…
V. In Deiner schmerzlichen Verlassenheit
A. Wollen wir Dich trösten, o Herr.
V. Schone, o Herr, schone Deines Volkes.
A. Und zürne uns nicht in Ewigkeit.

3. Ergebung Jesu in den Willen des himmlischen Vaters!
Vergebens hast Du, o Jesus Trost gesucht bei Deinen Aposteln.
Darum entfernst Du dich von neuem und verschwindest im Schatten der Ölbäume, um zur Grotte zurückzukehren.
Mit freiem Willen lässt Du den Sturm der Leiden wiederum über Deine Seele hereinbrechen .
Wieder sinkst Du ohnmächtig mit dem Antlitz in den Staub, wieder bemächtigt sich Deiner eine namenlose Traurigkeit,
und die Hochflut der Trübsal dringt in Deine Seele ein, noch tiefer und verheerender als zuvor.
O mein Gott und Heiland, könnte ich Balsam finden für Deine zerrissene Seele!
Ach, dass mein Herz statt des Deinigen oder wenigstens mit Dir zu leiden vermöchte!
Aber Hilfe kann nur von oben kommen; deshalb wiederholst Du in Deiner äußersten Angst Dein flehentliches Bittgebet:
„Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber, doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“
„Vater!“, rufst Du, denn so sehr Du  auch in diesem Augenblick die Strenge der göttlichen Gerechtigkeit fühlst, vergisst Du nicht,
dass Gott Dein Vater ist, und verzweifelst keinen Augenblick an seiner väterlichen Liebe.
Welch ein Beispiel für uns, die wir uns vielleicht hinreißen lassen zu unmutigen Klagen, zum Misstrauen gegen Gottes Vatergüte,
ja sogar zur Verzweiflung, wenn Gottes strafende Vaterhand uns trifft.
Göttlicher Heiland, um des bitteren Leidens willen, das Du für mich im Ölgarten erduldet, bitte ich Dich,
erhalte in mir zur Zeit der Prüfung das Vertrauen und die kindliche Ergebung,
damit ich auch in der Trübsal stets mit Zuversicht zu Gott als meinen Vater aufschauen möge.
„Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber!“
„Wenn es möglich ist“, d. h. wenn des Vaters Ehre und Verherrlichung, wenn die Dir anvertraute Aufgabe, das Heil der Seelen, nicht darunter leiden;
nur unter dieser Voraussetzung bittest Du um Wegnahme des Leidenskelches und flehst inständig:“
Es gehe dieser Kelch an mir vorüber“. Dieser Kelch!“ Welch inhaltsreiches Wort!
Mit einem einzigen Blick überschaust Du dabei die Flut der Martern, die sich über Dich ergießen soll bis zum Todesseufzer am Kreuz.
Ein grauenvolles Bild! Du kannst den Anblick nicht ertragen, Dein Herz verzagt;
Du hast nur noch Kraft, zum Vater um Hilfe zu rufen: „Es gehe dieser Kelch an mir vorüber.“

O guter Meister, wie trostvoll für uns ist dieses Gebet in deinem Munde! Es klingt so menschlich, so ermutigend für unsere Schwachheit,
es redet so recht unsere Sprache. Auch mich drückt der Schmerz nieder, der mich trifft.
„Mein Herz ist ja nicht von Stein“, muß ich mit Job klagen, „mein Fleisch ist nicht von Eisen.“
Da darf auch ich getrost um Abwendung des Leidenskelches bitten, Dein Beispiel lehrt es mich.
Dein Beispiel zeigt mir aber auch zu gleicher Zeit, mit welch kindlicher Ergebung des Willens
und unter welcher Bedingung ich um Erleichterung um Abwendung einer Prüfung bitten soll.
Freilich klagst Du dem Vater Deine Not und bittest sehnlichst, der Kelch möge vorübergehen.
Doch Du fügst hinzu: „Aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe.“ O Wort, wundervoll und hehr, würdig, von Himmel und Erde gepriesen zu werden!
„Dein Wille geschehe“, mit diesem Wort legt sich der Sturm in Deiner mit der Todesangst ringenden Seele.
Du hast den Leidenskelch angenommen aus des Vaters Hand.
Du, der Gottmensch, gehst dem Kreuz entgegen mit der ganzen Schönheit eines Opfers, das sich aus Liebe in den Tod begibt.
Du willst, was Gott will und begibst Dich freiwillig in die Hände Deiner Feinde.
O Jesus, möge Dein Vorbild mir immerdar voranleuchten, besonders aber in den Ölbergstunden, die auch über mich hereinbrechen.
Möge ich aus der häufigen Betrachtung Deiner Todesangst, Ruhe und Gnade schöpfen,
um nur noch in und nach dem Willen Gottes zu leben und seine Erfüllung zum einzigen Gegenstand meines Verlangens zu machen.
V. Herz Jesu, in den Willen Deines himmlischen Vaters ergeben,
A. Erbarme Dich unser.
V. Schone, o Herr, schone Deines Volkes,
A. Und erzürne uns nicht in Ewigkeit.

Schlußgebet:

Ich danke Dir, o göttlicher Heiland, für die mir in dieser Heiligen Stunde erwiesenen Gnaden.
Möge das Andenken an Deine bittere Todesangst im Ölgarten sich immer tiefer meiner Seele einprägen
und mich mit demütiger Reue- und Sühnegesinnung erfüllen sowie mit wahrer, opferbereiter Gegenliebe zu Deinem von unendlicher Liebe zu uns entzündeten Herzen.
Zum Beweise der Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen spreche ich mit der heiligen Margareta Maria:
„Ich weihe und übergebe hiermit dem heiligsten Herzen unseres Herrn Jesus Christus, meine Person, mein Leben, meine Handlungen, Mühseligkeiten und Leiden,
um mich in Zukunft ganz seiner Ehre und Verherrlichung zu weihen, Es ist mein fester und unwiderruflicher Entschluss, ihm ganz anzugehören,
alles aus Liebe zu ihm zu tun, und aus ganzem Herzen allem zu entsagen, was diesem göttlichen Herzen missfallen könnte.
Ich erwähle also Dich, o heiligstes Herz Jesu, zum einzigen Gegenstand meiner Liebe, zum Beschützer meines Lebens,
zur Sicherheit meines Heiles, zur Stütze in meiner Schwachheit und Unbeständigkeit und zur sicheren Zufluchtsstätte in der Stunde meines Todes.
Sei also, o Herz der Güte, meine Versöhnung bei Gott, Deinem Vater, und wende von mir ab, die Geißel seines gerechten Zornes.
O Herz der Liebe, auf Dich setze ich mein ganzes Vertrauen, von meiner Bosheit und Schwäche befürchte ich alles, aber von Deiner Güte hoffe ich auch alles.
So verzehre denn in mir alles, was Dir an mir missfallen oder widerstehen könnte.
Deine reine Liebe präge sich so tief in meinem Herzen ein, dass ich Dich niemals vergessen noch jemals von Dir getrennt werden kann,
Ich beschwöre Dich bei Deiner unendlichen Güte, lass meinen Namen tief in Deine heiligstes Herz eingegraben sein,
denn all mein Glück und mein ganzer Ruhm soll darin bestehen, in Deiner heiligen Liebe zu leben und zu sterben.“ Amen.

(Zur Gewinnung des vollk. Ablasses ist ein Gebet nach der Meinung des Heiligen Vaters hinzuzufügen: Vater unser… Gegrüßet seist Du Maria…)
Q: Die heilige Stunde Drei Andachten zu dem mit der Todesangst ringenden Herzen Jesu  Imprimatur 1949