Kardinal Mermillod war einst Vikar in Genf und hatte die Gewohnheit jeden Abend dem Heiland im Tabernakel einen letzten Besuch abzustatten, die ewige Lampe zu besorgen und dabei nachzusehen, ob die Türen verschlossen wären und ob sich niemand in der Kirche verborgen hätte. Nachdem dies alles besorgt war, kniete er an den Stufen des Altars einige Zeit nieder, machte eine tiefe Kniebeugung, küsste die Erde zum Zeichen seiner besonderen Ehrfurcht vor dem allerheiligsten Sakrament und kehrte hierauf nach Haus zurück. An einem Abend nun, als er in der Meinung, allein zu sein, seine Andachtsübung wie gewöhnlich verrichtet hatte und sich eben erhob um sich zurückzuziehen, hörte er plötzlich ein Geräusch; die Tür eines Beichtstuhles öffnete sich, und eine vornehme Dame trat heraus. „Was machen sie zu dieser Stunde hier, Frau?“ redete Mermillod sie an. „Ich bin Protestantin, wie Sie wissen“, entgegnete die Dame. „Ich habe den Predigten, die Sie während der Fastenzeit über die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im Altarsakrament gehalten haben, beigewohnt. Ihre Beweisführung hat mich von der Wahrheit dieser Lehre überzeugt. Nur ein Zweifel bleib mir übrig; verzeihen Sie, dass ich es sage nämlich dieser: Glaubt er auch selbst an das, was er sagt? Ich habe deshalb sehen wollen, ob sie sich im Verborgenen vor dem heiligsten Sakrament so benehmen wie jemand, der daran glaubt, und war entschlossen, mich zu bekehren, wenn Ihr Benehmen Ihrem Unterricht entsprechend wäre. Ich bin gekommen, ich habe gesehen, ich glaube.“ Es wurde diese Dame wirklich katholisch und eine sehr eifrige Katholikin. Das ehrfurchtsvolle und auferbauliche Betragen in der Kirche ist nun aber eine Sache, die man sich von früher Jugend angewöhnen muß. Ill. Hausbuch v. P. Franz Tischler Impr. 1908 |