Die Wirkung des „Ave Maria“

Ein berühmter Sänger, als großer Star angehimmelt und vergöttert, wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Es war hoffnungslos.
Er dämmerte meist dahin, was nicht ansprechbar und reagierte auch nicht auf die behutsame Annäherung des Kaplans, der dort als Krankenhausseelsorger tätig war.
Bekümmert musste der Kaplan immer wieder seine Versuche, mit ihm ins Gespräch zu kommen, aufgeben.

Auch die Schwestern hatten keinen Erfolg. Sie seufzten: „Was hat der arme Mensch jetzt von seinem ganzen Ruhm, wenn er ohne Versöhnung mit Gott aus dem Leben gehen muss.
Man weiß ja, wie solche Herren leben, sie machen sich die Moralgesetze selbst!“

Der Chefarzt, der sich sehr um seine Patienten kümmerte, ging spätabends noch einmal in das Zimmer dieses Mannes.
In langen Berufsjahren hatte er die Erfahrung gemacht, dass manche Sterbende kurz vor dem Tode noch einmal klar zu Bewusstsein kommen.
Daran dachte er jetzt, als er an das Bett trat, dem Sänger die Hand auf die Stirne legte und leise fragte: „Wie geht es Ihnen denn heute?“
Da schlug dieser die Augen auf und flüsterte: „Ich glaube, es ist bald aus mit mir. Sie brauchen mir nichts vorzumachen, Herr Doktor!“ „Das habe ich auch nicht in Sinn“, sagte der Arzt.
„Ich wollte nur fragen, ob ich Ihnen nicht den Kaplan schicken soll, damit Sie mit Gott ins Reine kommen können.

Ja ja, schicken Sie ihn nur. Aber bald, sonst…“ Der Chefarzt ging, und der Kaplan kam und fragte: „Sie wollen also schon die hl. Sakramente empfangen?“
„Ja ja, wenn Sie glauben, dass Gott mich noch annimmt. Ich war kein Guter, und Gott soll so streng sein.“
„O nein, lieber Herr, Gott ist unendlich barmherzig, ganz besonders reumütige Sündern gegenüber.“ „Herr Pater, bei der Beichte müssen Sie mir helfen.
Seit der ersten Beichte in meiner Kindheit war ich nie mehr im Beichtstuhl.“ „Keine Sorge, das machen wir zusammen.“

Als die hl. Handlung vorüber war, lag der Sänger erschöpft, aber zufrieden in den Kissen. Der Kaplan sagte: „Sie haben Ihre Sache gut gemacht.
Im Himmel herrscht nun große Freude ihretwegen. Nun sagen Sie mir noch eines, haben Sie all die Zeit Ihres Lebens wirklich nie gebetet? Zur Mutter Gottes auch nicht?“

„Gebetet? Nein. Nur einmal, bei einem Wohltätigkeitskonzert, habe ich ein ‚Ave Maria‘ gesungen, ohne Honorar, und da habe ich wirkliche Verehrung gefühlt für die Madonna.
Ja, ich bat sie sogar, für mich armen Sünder zu bitten – in der Stunde des Todes.“ „Daher also das Gnadenwunder Ihrer Bekehrung“, sagte der Kaplan. Beim Ave-Läuten starb der Sänger.
(M.L. im ‚Lieb-Frauen-Bote“ (Südtirol) 1/1992)