Der Geburtstag
Die Großmutter hat sich viel Mühe gegeben, eine festliche Geburtstagstafel vorzubereiten. Wie jedes Jahr wurden vom Konditor zwei leckere Torten geliefert, sie hat den Tisch schön gedeckt, der Kaffee dampft bereits. Da klingelt es an der Tür. Freudig öffnet die alte Frau – es sind ihre beiden Enkelkinder.
Sie will gerührt die Glückwünsche entgegennehmen, doch die beiden stoßen ihre Großmutter beiseite und laufen den Korridor entlang zum Wohnzimmer. Schnell nehmen sie am gedeckten Tisch Platz und schaufeln sich Torte auf ihre Teller. Schmatzend legen sie zu essen los.
Die Großmutter ist inzwischen auch im Zimmer angekommen. Etwas verschreckt steht sie in einer Ecke. „Na, schmeckt es euch denn?“ fragt sie unsicher. Man merkt ihr den Versuch an, aus der Situation das Beste zu machen. Die Großmutter versucht noch einmal zu lächeln und das Ganze mit „Ja, ja, die Jugend!“ abzutun. Sie hofft, dass es noch etwas feierlicher wird, wenn die beiden ihren größten Hunger gestillt haben.
Doch plötzlich springen beide wieder hoch. „Mach’s gut, Oma, bis bald mal!“
stürzen sie hinaus. Das Zuknallen der Tür hallt noch lange nach.
Du kannst dir nicht vorstellen, daß so etwas möglich ist? Du meinst, da sei aber gehörig dick aufgetragen? Nein, dies ist eine wahre Geschichte, die sich jedes Jahr millionenfach wiederholt. Auch wenn die Hauptperson der Geschichte in Wirklichkeit nicht die Großmutter ist, sondern ein Kind.
Die Geschichte spielt am Weihnachtsfest.
Da feiern wir Menschen die Geburt unseres Erlösers. Er sollte die Hauptperson sein.
Aber was machen wir aus diesem Fest? Wir stoßen Jesus zur Seite, wir schlagen uns den Magen voll, wir überhäufen uns mit Geschenken, wir denken an uns – vielleicht noch an unsere Familie und unsere besten Freunde. Die Hauptperson selbst steht verdrängt und weggestoßen in einer Ecke, ohne sich zu wehren.
Eigentlich erstaunlich, dass Gott immer noch mit offenen Armen dasteht und auf uns wartet, nicht wahr? Dass er uns einlädt, sogar zu Weihnachten. Auch in diesem Jahr.
(Rainer Haak)